Freitag, 6. November 2015

Twee: Frustra


Hier sitze ich, im Radio Beyoncés leidenschaftlich geschmettertes Halo. So heilig.

Vor mir steht ein ungetrunkenes Astra. Ein ünberührter Börek. Und diese Rose, pinkfarben und dennoch die schönste von drei für heute. Die anderen liegen jetzt auf dem Altonaer Straßenbelag, beide mit einem dicken, wütenden Knick in der Mitte.

Wie kommt es, dass ich mein Astra hier im Döner- und Bierladen an der Ecke trinke? Warum ich den bunten Lichterketten und gemütlichen Bars in Ottensen heute mit einem giftigen Blick begegne?

Es beginnt mit der Bahn. Wie es mir häufiger geschieht, ist mir alle Zeit durch die hektischen Finger geronnen und ich renne zur S31.

Auf dem Weg über die übelriechenden Stufen zum Gleis höre ich einen Ruf.
Ein alter, bärtiger Mann sitzt mit seinen Plastiktüten im Schatten und streckt eine Hand nach mir aus. Darin eine Rose, pinkfarben, nicht besonders groß.

Ich schüttele den Kopf, eile weiter; gleich fährt die Bahn. Aber der Bettler lässt nicht locker - "Komm schon, nimm sie, KEIN GELD." Ausländischer Akzent.
Er klingt beinahe verzweifelt.

Aber ich habe keine Zeit. Und seit Langem weiß ich, dass Rosenverkäufer unlautere Menschen sind, die einem etwas andrehen, was man gar nicht will.

Ich zucke die Achseln und gehe weiter. Vielleicht will er wirklich kein Geld? Vielleicht nur eine junge, gestresste Frau zum Lächeln bringen?

Am Gleis wird das Gerede laut: die Bahn steht im Stau.

"Wetten, die kommt genau dann, wenn wir weggehen, um den Bus zu nehmen?", zetert eine blonde Mittvierzigerin, während ihr Mann keine Miene verzieht, "das ist immer so!"

Angepisst. Gestresst. Nicht lächelnd.

Diese Adjektive passen auf die meisten in meiner Umgebung.

Bald merke ich, dass der Laden, zu dem ich muss, zumacht. Ich erwische ihn nicht mehr.Also raus zu den gemütlich erleuchteten Restaurants in Altona. Entspannt. Börek essen.

Ich werde aufgehalten. Wieder ist es eine Rose, gelb diesmal, mit schön geschwungenen Blütenblättern und klar erkennbaren Dornen. Ich zögere. Blicke kaum auf. Nehme sie, spüre, dass etwas in mir durch die Begegnung mit dem Alten aufgeweicht ist. Ich muss sie einfach nehmen.

Der dunkelhaarige Mann nickt und flötet: "Oh, wunderschön, meine Prinzessin."

Er will mir noch eine geben. Und noch eine. Lachend winke ich ab und will weiter.

Das Unvermeidliche kommt doch. Natürlich, und ich hätte ja damit rechnen müssen.

"Mein Kind, mein Kind sitzt am Bahnhof, ich bin aus Syrien. Eine Spende bitte."

Ich öffne meinen Geldbeutel, befreie den einen Euro, den ich habe, von meinen Geldbeutel besetzenden Centstücken und Strecke ihn ihm hin. Triumphal.

"Sehen sie! Ich dachte, ich hätte kein Kleingeld."

Der Syrier nimmt den Euro. Kein Lächeln, aber die Augenbrauen verengen sich zu einem fingierten flehenden Blick.

"Die Windel kostet aber vier Euro."

Ich kann es nicht fassen. Will ihm die Rosen uns Gesicht schmeißen. Denke an das Kind, das seine Windeln von einem Vater bekommt, der unehrlich und undankbar ist.

Denke an die Flüchtlinge an der Uni, mit denen ich einen Tag zuvor einen wunderbaren Abend in gemütlicher Atmosphäre verbracht habe.

Wie kann er sich mit dem gleichen Wort wie sie bezeichnen?

"Ich kann auch wechseln", bemerkt er, ganz der Geschäftsmann.

Nicht alle, die die Fluchtwelle nach Deutschland schwemmt, sind gleich.

So viel ist sicher.

Jetzt nicke ich im Takt zur türkischen Musik, nippe an meinem Frustra Urtyp und streiche die Blätter der Rose glatt.

Ich bin zurückgegangen, zum Mann an der Treppe. Habe ihn gefragt, ob er wirklich kein Geld will. Musste es wissen.

"Nein. Die kommt von meinem Herzen", sagt er. Aufrichtig. Breit lächelnd.

Und ich drücke meine Rose an mich, trage sie über den Boden, auf dem ihre unehrlichen Verwandten zu welken beginnen.

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