Samstag, 3. Oktober 2015

Flüchtlingsliebe



Nächste Woche geht meine Blogreihe mit der Reeperbahn los, aber ich kann nicht anders, als hierüber zu schreiben, über eineinhalb Stunden, die mir Tränen in die Augen getrieben haben. Ich zittere noch jetzt und es ist mir wichtig, über diesen höchst relevanten, bewegenden Film zu schreiben.

Gestern hat das Filmfest Hamburg 2015 begonnen; wie immer versammeln sich in einem Festzelt Regisseure aus aller Welt, um ihre kreativen Werke vorzustellen. Wie immer ist das Fest in verschiedene Kategorien eingeteilt – „Kaleidoskop“, die internationale Kategorie, „Asia-Express“, Filme aus Fernost, „Transatlantik“, aus Amerika. Aber dieses Jahr ist etwas anders – Nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland herrscht eine besondere Situation. Keiner kann es mehr hören, das Wort „Flüchtlinge“ ruft trotz seiner Relevanz, seinem täglichen Drängen und Wachrufen, Augenrollen hervor – die Nerven aller sind überstrapaziert. Die Kategorie „Veto!“ widmet sich der aktuellen Problematik und zeigt Schicksale, Geschichten von Kriegsflüchtlingen in aller Welt.
Am zweiten Festivaltag läuft im Metropolis eine Dokumentation des britischen Regisseurs Sean McAllister. A Syrian Love Story heißt sie und täuscht mit ihrem Titel. Es ist keine seichte, verklärte Auseinandersetzung mit einem Gefühl, sondern es ist eine Aufforderung, die verdrehten, verklebten Lider aufzureißen. 

Es ist die Geschichte von Amer und Raghda, einem syrischen Paar, das sich durch ein Loch in einer Gefängniswand zum ersten Mal sieht. Ein halbes Jahr hinter Gitter dauert es, bis sich die beiden lieben – beide Freiheitskämpfer, dazu verdammt, bald getrennt zu werden. Amer muss die Kinder alleine aufziehen, während Raghda im Gefängnis sitzt. Und ihr Sohn Bob ist erst drei Jahre alt.
Der Grund dafür ist, dass sie ein Buch über zwei Gefangene geschrieben hat, dies ich verlieben. Die sich gegen Baschar al-Assads Regime auflehnen und zeigen, dass echte, menschliche Wesen hinter diesen Gitterstäben sind, eingepfercht von einem, der bloß vorgibt, ein solches zu sein.

Zuhause sitzt der kleine Bob und weint, möchte die Stimme seiner Mutter hören. Der andere Sohn spürt Wut in sich aufwallen, Wut auf die Regierung, die ihm alles gestohlen hat. In der Schule lernt er, das Baschar wie ein Gott ist, aber er kann nicht miteinstimmen – beide Brüder fantasieren davon, al-Assad irgendwann zu töten, wenn sie erwachsen sind. 

Dann ist Raghda frei. Kehrt zu ihrer sehnsüchtig wartenden Familie zurück. Eigentlich wäre alles perfekt – aber sie hat sich verändert. Die Dinge, die sie im Gefängnis beobachtet hat, haben sie innerlich zerfressen, haben die Liebe, die sie zu Amer verspürt hat, erstickt. „Wenn noch Gefühle da sind, dann sind sie irgendwann verkohlt“, berichtet sie und reibt sich die Tränen aus den schwarz umrandeten Augen.

„Warum sagt sie nicht, was in ihr vorgeht?“ Amer fühlt sich von ihr abgeschnitten, spürt die dichte Mauer, die sie nach dem Gefängnisaufenthalt um sich gezogen hat. Dem Filmemacher Sean erzählt sie in stockenden Worten, dass es die Bilder aus dem Gefängnis sind, die ein Problem in ihr geschaffen haben – Zwar ist sie frei, aber die Gewalt lebt in ihr weiter, die Erinnerung an Menschen, die mit Bohrern durchlöchert werden, brutal gefoltert. 

Erst als Sean selbst festgenommen und ihm sein Filmmaterial über die beiden entzogen wird, versteht er, was sie durchmachen musste. Er wird gezwungen, al-Assad als seinen Gott zu bezeichnen, während ihm Schläge angedroht werden. Sobald er frei ist, spürt er noch stärkere Entschlossenheit, die Geschichte Amer und Raghda nach außen zu tragen, als Film. 

Die beiden wandern nach Frankreich aus, aber die Integration gelingt ihnen nicht recht – beide entfernen sich voneinander, verbittert und gebrochen durch die Dinge, die ihnen widerfahren sind, der Kampfgeist erstickt. Auch die Kinder haben sich verändert. Aber in der Familie und in Sean, der ein Freund geworden ist, lebt die Hoffnung weiter: Die Hoffnung für das Land Syrien und für die Menschen, die Hoffnung, wieder das Gefühl leben zu können, das sie zusammengebracht hat: Die Liebe. 

Im Kinosaal halten alle die Luft an, als der Film vorbei ist und Sean auf der Bühne steht, Amer aus dem Publikum holt. Er ist tatsächlich in Hamburg, der Mann, der eine berührende, bewegende Geschichte verkörpert, ein subjektives Schicksal, stellvertretend für das Grauen einer Nation.
Auch ich sitze im Publikum, wie verzaubert, und folge den Fragen, die dem Regisseur gestellt werden. Er erzählt von seiner Motivation, diese Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Aber sein Kampfgeist wird erst deutlich, als ein Herr aus dem Publikum aufsteht und die Stimme erhebt. Das Q&A ist längst beendet, aber er hört nicht auf – Er sagt, er sei Syrer und die Dokumentation habe nichts mit der Realität zu tun, sei subjektiv. Andere stimmen mit ein, Filmschaffende aus Indonesien und anderen Ländern, die den Regisseur angreifen. Er sei unprofessionell, schallt es durch den Raum.
Nach der Veranstaltung beobachte ich wie gefesselt, wie die Truppe von vier Menschen im Foyer des Metropolis auf den Regisseur losgeht, ihm auf ungehaltene Weise vorwerfen, er sei kein echter Filmemacher. Sie sagen, dies sei bloß eine triviale Geschichte, eine normale Familie, was habe das mit der Situation in Syrien zu tun. Kopfschüttelnd verlassen sie das Kino, bevor es zur Auseinandersetzung kommen kann.

Aus den erhitzten Rufen des Regisseurs spricht sein Anliegen: „Open your Mind.“ Denn darum geht es. Es gibt tausende Menschen mit Geschichten wie diese. Flüchtlinge. Hier in Deutschland. 


Emotionen im Metropolis

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