Nächste Woche geht meine Blogreihe mit der Reeperbahn los, aber ich kann nicht anders, als hierüber zu schreiben, über eineinhalb Stunden, die mir Tränen in die Augen getrieben haben. Ich zittere noch jetzt und es ist mir wichtig, über diesen höchst relevanten, bewegenden Film zu schreiben.
Gestern hat das Filmfest Hamburg 2015 begonnen; wie immer
versammeln sich in einem Festzelt Regisseure aus aller Welt, um ihre kreativen
Werke vorzustellen. Wie immer ist das Fest in verschiedene Kategorien
eingeteilt – „Kaleidoskop“, die internationale Kategorie, „Asia-Express“, Filme
aus Fernost, „Transatlantik“, aus Amerika. Aber dieses Jahr ist etwas anders –
Nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland herrscht eine besondere
Situation. Keiner kann es mehr hören, das Wort „Flüchtlinge“ ruft trotz seiner
Relevanz, seinem täglichen Drängen und Wachrufen, Augenrollen hervor – die Nerven
aller sind überstrapaziert. Die Kategorie „Veto!“ widmet sich der aktuellen
Problematik und zeigt Schicksale, Geschichten von Kriegsflüchtlingen in aller
Welt.
Am zweiten Festivaltag läuft im Metropolis eine
Dokumentation des britischen Regisseurs Sean McAllister. A
Syrian Love Story heißt sie und täuscht mit ihrem Titel. Es ist keine seichte,
verklärte Auseinandersetzung mit einem Gefühl, sondern es ist eine
Aufforderung, die verdrehten, verklebten Lider aufzureißen.
Es ist die Geschichte von Amer und Raghda, einem syrischen Paar,
das sich durch ein Loch in einer Gefängniswand zum ersten Mal sieht. Ein halbes
Jahr hinter Gitter dauert es, bis sich die beiden lieben – beide Freiheitskämpfer,
dazu verdammt, bald getrennt zu werden. Amer muss die Kinder alleine aufziehen,
während Raghda im Gefängnis sitzt. Und ihr Sohn Bob ist erst drei Jahre alt.
Der Grund dafür ist, dass sie ein Buch über zwei Gefangene
geschrieben hat, dies ich verlieben. Die sich gegen Baschar al-Assads Regime
auflehnen und zeigen, dass echte, menschliche Wesen hinter diesen Gitterstäben sind,
eingepfercht von einem, der bloß vorgibt, ein solches zu sein.
Zuhause sitzt der kleine Bob und weint, möchte die Stimme seiner Mutter hören. Der andere Sohn spürt Wut in sich aufwallen, Wut auf die Regierung, die ihm alles gestohlen hat. In der Schule lernt er, das Baschar wie ein Gott ist, aber er kann nicht miteinstimmen – beide Brüder fantasieren davon, al-Assad irgendwann zu töten, wenn sie erwachsen sind.
Zuhause sitzt der kleine Bob und weint, möchte die Stimme seiner Mutter hören. Der andere Sohn spürt Wut in sich aufwallen, Wut auf die Regierung, die ihm alles gestohlen hat. In der Schule lernt er, das Baschar wie ein Gott ist, aber er kann nicht miteinstimmen – beide Brüder fantasieren davon, al-Assad irgendwann zu töten, wenn sie erwachsen sind.
Dann ist Raghda frei. Kehrt zu ihrer sehnsüchtig wartenden
Familie zurück. Eigentlich wäre alles perfekt – aber sie hat sich verändert. Die
Dinge, die sie im Gefängnis beobachtet hat, haben sie innerlich zerfressen,
haben die Liebe, die sie zu Amer verspürt hat, erstickt. „Wenn noch Gefühle da
sind, dann sind sie irgendwann verkohlt“, berichtet sie und reibt sich die
Tränen aus den schwarz umrandeten Augen.
„Warum sagt sie nicht, was in ihr vorgeht?“ Amer fühlt sich
von ihr abgeschnitten, spürt die dichte Mauer, die sie nach dem
Gefängnisaufenthalt um sich gezogen hat. Dem Filmemacher Sean erzählt sie in
stockenden Worten, dass es die Bilder aus dem Gefängnis sind, die ein Problem
in ihr geschaffen haben – Zwar ist sie frei, aber die Gewalt lebt in ihr
weiter, die Erinnerung an Menschen, die mit Bohrern durchlöchert werden, brutal
gefoltert.
Erst als Sean selbst festgenommen und ihm sein Filmmaterial
über die beiden entzogen wird, versteht er, was sie durchmachen musste. Er wird
gezwungen, al-Assad als seinen Gott zu bezeichnen, während ihm Schläge
angedroht werden. Sobald er frei ist, spürt er noch stärkere Entschlossenheit,
die Geschichte Amer und Raghda nach außen zu tragen, als Film.
Die beiden wandern nach Frankreich aus, aber die Integration
gelingt ihnen nicht recht – beide entfernen sich voneinander, verbittert und
gebrochen durch die Dinge, die ihnen widerfahren sind, der Kampfgeist erstickt.
Auch die Kinder haben sich verändert. Aber in der Familie und in Sean, der ein
Freund geworden ist, lebt die Hoffnung weiter: Die Hoffnung für das Land Syrien
und für die Menschen, die Hoffnung, wieder das Gefühl leben zu können, das sie
zusammengebracht hat: Die Liebe.
Im Kinosaal halten alle die Luft an, als der Film vorbei ist
und Sean auf der Bühne steht, Amer aus dem Publikum holt. Er ist tatsächlich in
Hamburg, der Mann, der eine berührende, bewegende Geschichte verkörpert, ein
subjektives Schicksal, stellvertretend für das Grauen einer Nation.
Auch ich sitze im Publikum, wie verzaubert, und folge den
Fragen, die dem Regisseur gestellt werden. Er erzählt von seiner Motivation,
diese Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Aber sein Kampfgeist wird erst
deutlich, als ein Herr aus dem Publikum aufsteht und die Stimme erhebt. Das
Q&A ist längst beendet, aber er hört nicht auf – Er sagt, er sei Syrer und
die Dokumentation habe nichts mit der Realität zu tun, sei subjektiv. Andere
stimmen mit ein, Filmschaffende aus Indonesien und anderen Ländern, die den
Regisseur angreifen. Er sei unprofessionell, schallt es durch den Raum.
Nach der Veranstaltung beobachte ich wie gefesselt, wie die
Truppe von vier Menschen im Foyer des Metropolis auf den Regisseur losgeht, ihm
auf ungehaltene Weise vorwerfen, er sei kein echter Filmemacher. Sie sagen,
dies sei bloß eine triviale Geschichte, eine normale Familie, was habe das mit der
Situation in Syrien zu tun. Kopfschüttelnd verlassen sie das Kino, bevor es zur
Auseinandersetzung kommen kann.
Aus den erhitzten Rufen des Regisseurs spricht sein Anliegen: „Open your Mind.“ Denn darum geht es. Es gibt tausende Menschen mit Geschichten wie diese. Flüchtlinge. Hier in Deutschland.
Emotionen im Metropolis |
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